Ein goldenes Jahrzehnt oder verbrannte Erde?

Published by Tobias Hofmann on

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Die SAP Hauptversammlung fand am 20. Mai statt. Die eigentlichen Themen (Gewinn, Wachstum, Dividende) einer HV fanden wenig Interesse in den Medien. Dafür das was der Aufsichtsratsvorsitzende sagte. Ausgiebig wurden die Infos zu dem Ende des Co-CEO Models aufgenommen.* Seine Infos zum Abgang von Bill McDermott gingen etwas unter, fanden aber trotzdem etwas Beachtung. Seine getätigten Aussagen werfen ein neues Licht auf den Abgang (auf mehreren Kanälen wurde es als übles Nachtreten interpretiert).

Persönlich stand ich der Strategie von McDermott skeptisch gegenüber. Meiner Meinung nach verstand er die DNA der SAP Lösungen und den Grund der Wertschätzung bei den Kunden nicht. Das Zusammenspiel der einzelnen Lösungen, die Möglichkeit schnell am Markt zu sein (nur dann wenn der SAP Vertrieb seine Hände nicht im Spiel hat), die Einfachheit der Integration war und ist das Alleinstellungsmerkmal. Dafür sind SAP Kunden bereit den Premium Aufpreis für SAP zu bezahlen. Die Produktivität, die ein SAP Entwickler entfalten kann ist erstaunlich. Full-Stack Entwickler im SAP Umfeld sind die Norm, nicht die Ausnahme. Dafür nimmt man auch so manche Einschränkung in Kauf. Fällt das weg, dann fällt der Grund sich für SAP zu entscheiden ebenfalls weg. Außerhalb des SAP Ecosystems gibt es Lösungen, die nicht nur genauso gut sind, sondern besser, manchmal auch noch billiger. SAP HR ist eine Macht in Unternehmen, weil es einfach war zu verwenden. Schön war es nie, aber es funktionierte.

Der Zukauf von Expertise in der Cloud ist vollkommen in Ordnung um den Einstieg zu schaffen oder sich punktuell zu verbessern. Um Nutzerzahlen zu gewinnen: das ist riskant und kann schnell in einem Schneeballsystem enden. Dann ist man schnell dabei sich Wachstum durch Geld zu erkaufen. Irgendwann wird dies sehr, sehr teuer. Wenn also der Hersteller Funktionalitäten in die Cloud verlagert und nichts im Portfolio hat, das im Vergleich zur Konkurrenz ebenbürtig ist, oder die Mängel durch eine überragende Integration ausgleicht, dann legt man den Grundstein für Probleme. Diese Probleme wachsen langsam, wenn nicht sogar unsichtbar, aber irgendwann kommen sie zum Vorschein. Beim DSAG Jahreskongress 2019 war es dann soweit: die Kunden sind von SAP nicht mehr überzeugt. Hier war dann auch der Punkt erreicht, an dem man nichts mehr beschönigen konnte.

Der Abgang kam überraschend, aber nicht aus dem Nichts. Interessant ist das Hasso Plattner jahrelang die Strategie unterstützt und für gut befunden hat. Es hat wohl auch hier gedauert bis Erkenntnis reifte das die Kunden sich übergangen fühlen. Vielleicht war auch die Reihe der Leute die als Puffer dienen nicht mehr vorhanden.

Alles schlecht zu reden ist natürlich beiden gegenüber ungerecht. In den letzten 10 Jahren stieg der Aktienkurs. SAP ist das wertvollste Unternehmen im DAX. Die Mitarbeiteranzahl stieg drastisch. SAP hat jetzt ein Cloud Angebot. Das Portfolio ist breiter und bietet viel mehr Wert für Unternehmen. IoT, AI, ML, Big Data, als das kam hinzu. Benutzer können SAP im Browser und sogar auf dem Handy bedienen.

Auf der Gegenseite steht aber auch: viele SAP Kunden gehen in die Cloud, aber (fast) ohne SAP. SAP wird in den Unternehmen immer mehr auf das reine ERP reduziert (siehe dazu auch meinen Vortrag beim SIT München 2019). Schon bei der Auswertung (Analytics) der Daten werden andere Anbieter bevorzugt. Für custom apps ist SAP nur das notwendige backend (wenn nicht sogar Übel), nicht mehr Dreh und Angelpunkt.

Der Aktienkurs? Ja, er stieg. Aber der von Amazon, Microsoft, Facebook, Google, etc stieg viel, viel stärker. Microsoft stieg von 19€ auf 170€. Google: 270€ auf 1320€, Amazon: 100€ auf 2258€, Facebook 31€ auf 220€, Accenture 32€ auf 182€. Andere waren nicht so gut: IBM 125€ auf 118€ und Oracle 18€ auf 48€. Super, die SAP Aktie ist besser als Oracle und IBM. Die Marktkapitalisierung der genannten liegt bei 1,28 Bio (Msft), 1,12 Bio (Amazon), 816 Mrd (Google), 616 Mrd (Facebook), 151 Mrd (Oracle). SAP ist das wertvollste Unternehmen im DAX mit 108 Mrd Marktkapitalisierung, aber weit abgeschlagen zu den anderen globalen Tech Konzernen, auch zu Oracle. Überspitzt kann man auch zu der McDermott Erfolgsgeschichte Aktienkurs auch sagen: grob geschätzt ist der Aktienkurs der SAP um 80% gestiegen, da die anderen Tech Unternehmen gute Zahlen präsentierten. Es wäre also egal gewesen, wer der CEO der SAP im letzten Jahrzehnt war, die Aktie wäre alleine wegen der Sippenhaft so oder so auf 100€ gestiegen.

SAP hat keine globale Führerrolle in der Cloud, in IoT, AI, ML inne. Das ist auch ein Verdienst der letzten 10 Jahre unter Plattner und McDermott: die anderen waren besser. Da im DAX die 29 anderen schlechter waren: unter den Blinden ist der Einäugige König. SAP ist in der Cloud, aber wenn man sich anschaut was Microsoft im fast gleichen Zeitraum mit Azure erreicht hat, da kann die SAP Cloud nicht mal ansatzweise mithalten. AWS? Will man nicht mal daran denken. Man versucht es auch nicht mehr. HANA ist die Datenbank für SAP Lösungen, vor allem für S/4HANA, außerhalb dieser speziellen Anwendungsfälle ist die Nutzung arg spärlich. Für cloud native gibt es noch etwas Hoffnung. Ich werde zu SAP Cloud ein separates Blog schreiben. Hier ist das Thema komplexer.

War es jetzt ein goldenes Jahrzehnt? Für die Kunden eher nicht, für den Vertrieb der SAP auf jeden Fall. Ist es verbrannte Erde? Natürlich nicht, die SAP steht immer noch sehr gut da, die genannten Probleme sind nicht unlösbar. Die Strategie vom neuen CEO stimmt: mehr auf die Kunden zugehen, Probleme nicht ignorieren. Die Drei von der Tankstelle SAP Klein, Saueressig und Müller haben sich die Aufgaben ja auch untereinander aufgeteilt. Es ist keine One-Man-Show mehr. Dieses gemeinsame angehen dürfte effizienter sein um die Probleme langfristig zu lösen.

Ein Ergebnis ist schon vorhanden: unter Klein sind die Nachrichten besser. Das Versprechen eine Verbesserung der Integration der Anwendungen, Verlängerung des Supports, den Kunden wieder spürbar Mehrwert liefern. Hier gilt: diese Nachrichten sind mit Klein verbunden, nicht mit Jennifer Morgan. Entweder hat hier die Kommunikation nicht funktioniert, oder es gab wirklich keinen Einfluss von ihr die SAP wieder auf die Kunden auszurichten. Dies kann ein Grund für den Wechsel zum alleinigen CEO sein. Wenn man sich die Ankündigungen in den letzten 8 Monaten anschaut: vielleicht ist die in Erinnerung bleibende Aktion von McDermott bezüglich Kundenkontakt die Indirect Licensing Klagen. Warum nicht, Leo Apotheker erging es ja auch nicht besser. Da sind die von Klein genannten Initiativen wesentlich besser. Vielleicht wird aber auch morgen der nächste Milliarden Deal bekannt gegeben.

Und die nächsten 10 Jahre? Eine schnelle und zeitnahe Amtsübergabe des Aufsichtsratsvorsitzenden wie ursprünglich angekündigt wäre aber nicht zum schlechtesten für die SAP. Der letzte große Einfluss war ja HANA. Überzeugt hat mich die Idee eine neue Datenbank mit Architektur der 70er und 80er mit Technologie der 2010er zu verwirklichen nicht. Was keiner will: dass die SAP der Fluch des deutschen Mittelstandes ereilt.


*Der Eindruck ist: man hätte es wohl lieber gesehen, wenn der verbleibende CEO Christian Klein gegangen wäre. Personelle Entscheidungen für das C-Level wird in einer AG im Aufsichtsrat getroffen. Der wiederum sich den Anteilseignern rechtfertigen und einer Wahl stellen muss. Bedeutet auch: wer mit dem jetzigen Aufsichtsrat nicht zufrieden ist: Aktien kaufen und das Stimmrecht ausüben.

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Categories: SAP

Tobias Hofmann

Doing stuff with SAP since 1998. Open, web, UX, cloud. I am not a Basis guy, but very knowledgeable about Basis stuff, as it's the foundation of everything I do (DevOps). Performance is king, and unit tests is something I actually do. Developing HTML5 apps when HTML5 wasn't around. HCP/SCP user since 2012, NetWeaver since 2002, ABAP since 1998.

1 Comment

Marco · May 26, 2020 at 15:28

Hallo Tobias,
Ich finde mich in deinen Einschätzungen aus der HV sehr gut wieder. Exemplarisch fand ich die Selbsterkenntnis von Hasso Plattner, dass man Lösungen wegen der ansprechenden Benutzeroberfläche gekauft hat. Es gibt Leute in Walldorf, die wissen wie die Sinnhaftigkeit und die Risiken von Akquisitionen bewertet werden kann. Offensichtlich hat man aber auf die nicht gehört.
Dann wundern Pressemitteilungen zoo verfehlten Sicherheitsstandards in Cloud Lösungen nicht. Das dazu noch eine gravierende Größenordnung and Sicherheitspatches in den Kernprodukten veröffentlicht werden muss trotz der kleinen Community an Sicherheitsforschern im SAP Bereich ist besorgniserregend.
Vielleicht hat sich die SAP und McDermott auch verhoben?

Viele Grüße
Marco

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